Insekten - Artenvielfalt im Wandel

Die unüberschaubare Artenvielfalt der Insekten macht es nicht leicht, einen Wandel der Verbreitungsareale und der Populationsgrößen zu untersuchen. Während das Artensterben der Insekten inzwischen gut dokumentiert ist, kommt es parallel zu einer ungewöhnlich starken Ausbreitung von wärmeliebenden Arten, die höchstwahrscheinlich auf den Klimawandel zurückzuführen ist.

 

Unsere Artenvielfalt ist im Wandel. Das ist erst einmal nichts Ungewöhnliches, aber die Geschwindigkeit hat mich als Diplom-Biologe im letzten Jahr doch massiv beeindruckt. Noch nie habe ich in meinem kleinen Garten so viele Insektenarten gesehen, die in den Jahren davor nicht anwesend waren. Gleichzeitig befinden wir uns in einem Massensterben der Insekten, wie die Krefelder Studie von 2017 eindrucksvoll belegt hat.
Wie passen diese beiden auf den ersten Blick widersprüchlichen Beobachtungen zusammen? Und warum ist das überhaupt relevant für uns alle?

Der Wert der Insekten

Insekten sind mit großem Abstand die artenreichste Tierklasse. Sie besiedeln fast alle Lebensraumtypen an Land und im Süßwasser und sind unerlässlich für die komplexen funktionalen Vernetzungen in Ökosystemen. Ihr eigentlicher Wert liegt also nicht nur in der Bestäubungsleistung vieler Vertreter. Weil sie so unzählig viele ökologische Nischen besetzen, sind sie grundlegend wichtig für das Funktionieren des gesamten Systems. Ein Rückgang in Artenvielfalt oder Individuenzahl von Insekten destabilisiert daher den Zustand des Ökosystems.

Das Artensterben der Insekten

Faunistische Aufzeichnungen zeigen, dass die Anzahl und die Größe von Populationen bei der Mehrzahl unserer Insekten seit rund 200 Jahren rückläufig sind, und das mit zunehmender Geschwindigkeit. Dieser Trend lässt sich nicht nur in Deutschland, sondern europaweit feststellen und ist sehr wahrscheinlich sogar ein weltweites Phänomen.
Eine in diesem Jahr veröffentlichte Folgestudie zur Krefelder Studie zeigt am Beispiel der Schwebfliegen, dass der Verlust vor allem auf der Abnahme von eigentlich häufigen Arten beruht. Diese Feststellung hat weitreichende Folgen: Bisher lag der Fokus beim Artenschutz häufig auf der Bewahrung spezialisierter und seltener Arten. Die neue Studie zeigt aber, dass das längst nicht mehr ausreicht, weil inzwischen auch die Allerweltsarten bedroht sind. Wenn selbst in Naturschutzgebieten die Populationen dieser nicht-spezialisierten Arten ohne hohe Standortansprüche bereits dramatisch zurückgehen, sagt das viel über den Zustand unserer Ökosysteme aus. Sollte sich dieses Ergebnis in weiteren Studien bestätigen, bedeutet das, dass bereits die Basis unserer Ökosysteme erodiert.

Ursachen für das Artensterben

Es zeichnen sich vier Hauptgründe für diese Entwicklung ab: Der Habitatverlust durch Flächenversiegelung und Nutzungsänderung, die fehlende Vernetzung naturnaher Biotope, die Überdüngung mit Stickstoffverbindungen und die Vergiftung durch Pestizide. Die Zusammenhänge sind komplex und lassen sich wohl nicht vollständig aufklären. Insbesondere der Einsatz moderner Insektizide aus der Stoffgruppe der Neonikotinoide seit den 1990er-Jahren fällt mit einem beschleunigten Artenschwund zusammen. Ein Kausalzusammenhang ist anzunehmen. Problematisch ist die hohe Toxizität der Neonikotinoide und ihre lange Verweildauer im Boden. Clothianidin beispielsweise (Handelsbezeichnung Poncho) ist für Insekten 10800-fach giftiger als das in den 1940er-Jahren eingesetzte DDT.

Neubürger durch Klimawandel

Dem gegenüber steht nun, dass sich Insekten in Deutschland in breiter Fläche ausbreiten, die vor wenigen Jahren noch auf kleine Areale im Süden beschränkt waren oder gar nicht hier vorkamen.
Die Blaue Holzbiene (Xylocopa violacea) – das sind diese erstaunlich großen, schwarzen, hummelartigen Bienen mit den blauglänzenden Flügeln, die sich schon ziemlich zeitig im Frühjahr blicken lassen – fliegt inzwischen regelmäßig in meinem Garten in Alfter. Letztes Jahr habe ich zum ersten Mal den Trauer-Rosenkäfer (Oxythyrea funesta) in Bornheim in Brombeerblüten gefunden. Die Gottesanbeterin (Mantis religiosa), die früher nur im Bereich des Kaiserstuhls vorkam, wurde 2020 im Siebengebirge nachgewiesen. Nach einem Fund in Bonn-Duisdorf wurde 2019 die Bernsteinschabe (Ectobius vittiventris) als neue Insektenart für das nördliche Rheinland beschrieben.
Mir gelang letztes Jahr der Erstnachweis in NRW für eine mediterrane Laubheuschrecke, die Vierpunktige Sichelschrecke (Phaneroptera nana). Und es fanden sich im letzten Sommer noch weitere Neuzugänge in meinem Garten ein: Die Blauflügelige Ödlandschrecke (Oedipoda caerulescens), die Planuncus-Waldschabe (Planuncus tingitanus), die Marmorierte Baumwanze (Halyomorpha halys), der Stahl­blaue Grillenjäger (Isodontia mexicana), die Orientalische Mauerwespe (Sceliphron curvatum), die Felsspalten-Wollbiene (Anthidium oblongatum) und der Amerikanische Erdbeer-Glanzkäfer (Stelidota geminata).
Alle diese Arten sind wärmeliebend und aufgrund der Vielzahl dieser Einzelbeobachtungen ist ein Zusammenhang mit der Klimaerwärmung mehr als naheliegend.

Einfluss des Klimawandels auf die Artenvielfalt

Die Klimaerwärmung verändert selbstverständlich auch die mikroklimatischen Bedingungen in den einzelnen Biotopen. Dadurch stehen die Spezialisten mit hohen Standortansprüchen besonders unter Druck. Das oben aufgezeigte Aussterben vieler seltener Arten wird also durch die Klimakrise voraussichtlich beschleunigt. Jedoch gibt es auch Gewinner, die sich nun bei uns zunehmend ausbreiten. Es sind die temperaturlimitierten Ubiquisten, also Arten mit geringer Spezialisierung und niedrigen Standortansprüchen, teilweise aus anderen Kontinenten eingeschleppt, denen bisher nur die relativ niedrigen Temperaturen hierzulande eine Grenze gesetzt hatten. Die nördlichen Verbreitungsgrenzen dieser Arten schieben sich Jahr für Jahr weiter nach Norden. Wir verlieren unsere typischen, standortspezifischen Arten und erhalten dafür robuste Kosmopoliten, die die Funktion der ausgefallenen Arten nicht einnehmen können.
Die neuen Arten sind vielleicht eine faunistische Bereicherung, sie kompensieren aber nicht den durch das Insektensterben verursachten Ausfall der ursprünglichen Arten und führen in der Fläche auch nicht zu einer Erhöhung der Artenvielfalt. Das Insektensterben läuft ungebremst weiter.

Ralf Bleck



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