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24.09.22 –
Ich bin in Mahabad, einer kurdischen Stadt im Iran geboren. Dort ist es schwer, der staatlichen Religion zu entkommen. Wenn man sich für westliche Musik, Filme, Kultur, aber auch demokratische Werte wie Gleichberechtigung und Menschenrechte interessiert, ist man sofort verdächtig. Ich war erst 14 Jahre alt als ich mich dort fremd und unwohl fühlte. Egal was ich getan oder gesagt habe, das Regime bezeichnete mich als Ungläubigen, der sich an die westlichen Länder verkauft, die ihre Kultur im Iran ausbreiten möchten. So stehst du immer bei Regime und Volk unter Beobachtung.
Wegen meines Stils, meiner Frisur und meines Verhaltens hatte ich immer Probleme mit der Religionspolizei. Das erste Mal, als ich an einer Demonstration teilgenommen habe, wurde ich von der Geheimpolizei fotografiert. Ich musste drei Monate weg von meiner Stadt um mich zu verstecken, obwohl ich noch nicht mal 15 war.
Was gerade im Iran geschieht, ist nichts Neues. Dieser Hass und diese Wut des Volkes gegen das Regime gibt es schon seit vielen Jahren. Das Feuer wurde schon lange angezündet und was gerade und jedes Jahr dort stattfindet, ist die Asche von diesem Feuer, das jedes Mal nur einen leichten Wind braucht, um sich wieder zu entzünden.
Im Jahr 2011 habe ich mich für eine junge Journalistin eingesetzt, die wegen eines Berichtes gegen das Regime verhaftet und vergewaltigt worden war. Was mit ihr, mit mir, mit Neda Agha Soltan, Navid Afkari, Farzad Kamangar und heute mit Mahsa Amini und vielen jungen Menschen passiert, ist genau das gleiche Szenario. Doch sie sind tot und ich lebe nur, weil ich fliehen konnte.
Das Regime weiß schon, dass über 80% des Volkes kein Interesse an diesem Regime, seinem Verhalten und seiner Einstellung haben, deswegen hat das Regime große Angst vor jedem einzelnen Menschen und jeder Bewegung.
Obwohl ich seit 2014 in einem demokratischen und freien Land lebe, habe immer noch nicht vergessen, wie ich selbst verhaftet wurde. Das ist schon lange her. Aber, wie die mit mir gesprochen, mich und meine Familie beleidigt und mich geschlagen haben, war so heftig und furchtbar, dass ich es immer noch am ganzen Körper fühle.
Was im Iran in den letzten Tagen passiert, ist ganz grausam für mich. Aber es gibt auch eine Hoffnung und das sind die vielen Frauen, die an den Demonstrationen teilnehmen. Das habe ich so nicht oft erlebt. Das Regime hat sehr große Angst vor Frauen. Die Frauen sind sogar mitten in der Nacht noch unterwegs und neben Männern rufen sie für Freiheit. Meine Meinung nach sind sie der wichtigste Grund, dass Demonstrationen jeden Tag weiter stattfinden.
Die Frauen, die mutig ihr Kopftuch auf den Straßen abnehmen und es verbrennen, um zu sagen, dass sie auch existieren und Entscheidungen selbst treffen. Die mutigen Frauen, die mit leeren Händen gegen die Polizei kämpfen und damit Männer dafür motivieren. Wenn ich ehrlich bin, immer wenn die Polizei mich festgenommen hat, war die einzige Person, die mich ohne Angst besuchen wollte, meine Mutter. Sie war immer die erste Person, die bei jeder Polizeiwache nach mir gesucht hat, obwohl für sie ganz klar war, dass dieses ungnädige Regime sie auch festnehmen kann. Diesen Mut hatten viele Männer wie mein Bruder und meine Freunde nicht
Die Frage, wie das weitergeht, ist sehr schwierig zu beantworten. Das Islamische Regime probiert diesmal alle Tricks: Sie benutzen öffentliche Busse und Ambulanzen, um die Demonstranten festzunehmen. Es gibt mehrere Videos, die deutlich zeigen, dass die Ambulanzen nicht in ein Krankenhaus, sondern direkt zu Polizeiwache fahren. Seit vier Tagen ist das Internet abgeschaltet, denn das Handy und das Internet sind die einzigen Sachen, womit sich die Menschen verteidigen können. In sechs Tagen sind schon über 1.000 Menschen festgenommen worden und es gibt über 30 Tote. Das macht mir große Sorgen. Denn ich denke immer noch an die 1.500 unschuldigen und wertvollen Menschen, die 2019 ohne Grund auf der Straße vom Regime erschossen und ermordet wurden. Noch mehr als die Gestorbenen sind diejenigen, die immer noch im Gefängnis sind und keiner weiß, wo genau. Ich habe Angst, dass das jetzt wieder passiert.
Geheimpolizisten mischen sich wie normale Menschen unter die Demonstrierenden und zünden den Koran an, zerstören Banken oder provozieren Gewalt, um das dann den Demonstrierenden anzulasten und im Fernsehen zu behaupten, dass die Demonstrierenden nicht nur gegen die Religion verstoßen, sondern das Land und den Islam zerstören wollen. Sie wollen damit noch mehr Strafen für die festgenommenen Menschen und noch mehr Tote erreichen.
Aber meine Hoffnung für die Zukunft des Iran liegt in erster Linie bei den Frauen. Die feministische Bewegung des Iran ist sehr stark und unfassbar. Ich finde, dies ist derzeit die stärkste Frauenbewegung im Nahen Osten. Diese Einheit zwischen Frauen und Männern ist eine der schönsten Sachen für mich. Ich wünsche mir, dass eines Tages in den iranischen Schulbüchern steht, dass mit Mahsa Amini ein neues Kapitel der Freiheit im Iran angefangen hat.
In meinem Leben habe ich mich immer für Menschenrechte eingesetzt, da ich immer daran glaubte, jeder Mensch hat ein Leben und darf so leben wie er oder sie es sich wünscht und möchte. Und wer nicht an das glaubt, ist für mich kein normaler Mensch. Wie ich es schon gesagt habe, sind viele Frauen und Männer mit leeren Händen auf den Straßen gestorben oder festgenommen worden. Daher meine große Bitte an Sie alle und vor allem die Politikerinnen und Politiker: Seien Sie bitte ihre Stimme. Diese Stimme ruft nur "Freiheit". Lassen sie diese Menschen nicht allein.
Genau was Außenministerin Baerbock in den letzten Tagen gesagt hat: Ob im Iran, im Nordirak, Afghanistan oder in der Ukraine: niemand darf glauben, Verbrechen ohne Konsequenzen begehen zu können. Genau deswegen ist es eben nicht nur ein Frauenthema, sondern auch ein Menschenrechts-, ein Demokratie-, ein Rechtsstaats-Thema. Ich hoffe, dass dies nicht nur gesagt, sondern auch getan wird.
(Mirko Kabki)
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