Nachlese zum Parteitag der GÜNEN vom 14. bis 16.10.22 in Bonn. Ein Kommentar von Markus Hochgartz

Markus Hochgartz, Ratsmitglied und Geschäftsführer der Bornheimer Grünen, nahm zwei Tage als Gast und einen Tag als Delegierter am grünen Parteitag in Bonn teil. Es war nicht seine erste Teilnahme, doch diesmal erlebte er eine andere Bundesdelegiertenkonferenz (BDK). Warum dies so ist und wie er die Reaktionen der Öffentlichkeit und Presse wahrnimmt, schildert er in seinem Kommentar. Eine gute Einordnung der aktuellen Rolle von Bündnis 90 / Die Grünen.

22.10.22 –

Ich muss vorweg warnen, dieser Text wird etwas länger, aber angesichts der Eindrücke auf der #bdk und der Reaktionen darauf in den SM und der Presse bliebe ein kurzer Text zu vieles schuldig.

Diese #bdk war krass! Selten zuvor habe ich im Vorfeld, während dessen und auch unmittelbar im Anschluss eine so heftige öffentliche Debatte darum wahrgenommen. Ich verfolge BDKs intensiv, seit ich 2007 in Nürnberg erstmals als Delegierter bei einer dabei war. Damals ging es um Grundeinkommen oder Grundsicherung – falls sich noch jemand erinnert – und auch da wurde leidenschaftlich diskutiert, gestritten und am Ende gab es eine Einigung.

Ein Wandel der Parteikultur ist spürbar.

Seitdem hat die Partei und haben auch die BDKs einen Wandel erlebt – von den Jahren davor mal ganz zu schweigen. Die Grünen sind tatsächlich zusammengerückt. Spätestens nach der Wahl von Robert #Habeck und Annalena #Baerbock 2018 ist ein neuer Geist in die Partei eingezogen, den man vor allem durch ein klares Bekenntnis zum Streben nach Macht und nach Mehrheiten unter dem Begriff der Bündnispartei gefasst hat.

Das Diskutieren hat deshalb nicht aufgehört, aber zum einen war man in der Opposition, daher konnte man Forderungen auch noch maximal stellen, zum anderen drehte sich der Zeitgeist und nicht nur die F4F-Bewegung hat uns Rückenwind verschafft. Das hat geholfen als einzige Partei, die als glaubwürdige Vertretung des Klimaschutzes in der Parteienlandschaft wahrgenommen wurde und wird, in den letzten Jahren bei Wahlen hinzuzugewinnen. Wir haben hinzugewonnen, aber nie gewonnen! Das muss man festhalten, denn das wird bei all den erfreulichen Entwicklungen gerne vergessen. 14,8% bei der Bundestagswahl, 18,3% und 18,2% in Schleswig-Holstein und NRW und jetzt 14,5% in Niedersachsen. Alles Spitzenwerte, gemessen an #Grünen Ergebnissen in den Jahrzehnten davor und definitiv nichts, was man schlecht reden solte, aber richtig einordnen muss man es halt doch. Wir haben keinen Ministerpräsidenten dazu gewonnen, wir sind nirgendswo stärkste Kraft geworden und noch immer haben uns mehr als 80 % der zur Wahl gehenden Bevölkerung nicht gewählt.

Hinzugewonnen, aber nicht das alleinige Sagen.

Warum stelle ich das voran? Nun, angesichts der Reaktionen einiger haben wir in Deutschland schon die Mehrheit oder zumindest sind wir es, die die Politik in der Bundesregierung und in den Landesregierungen, in denen wir sitzen, diktieren. Die einen fürchten dies, die anderen erwarten dies, beides ist aber falsch! Wir sind im Bund mit einer Partei in der Koalition, die nur auf dem Papier einen Klimakanzler stellt und mit einer weiteren Partei, die sich schon mit so einfachen Maßnahmen wie dem Tempolimit schwertut.

Auch in den Landesregierungen sieht es nicht anders aus. Erschwerend kommt hinzu, dass wir nach der Bundestagswahl 2021 ja nicht bei 0 gestartet sind, sondern eine Hinterlassenschaft vorfanden, mit der wir umgehen müssen: 16 Jahre CDU, SPD und FDP, die eben vor allen die vorhandenen Strukturen verteidigt haben, insbesondere im Klimaschutz, und die aufkeimende Strukturveränderungen zum Nachteil Deutschlands und des Klimas rasiert haben – Zerstörung der PV-Produktion und am Ende ihrer Regierungszeit auch der Windturbinen-Produktion in Deutschland, um zwei relevante Beispiele zu nennen. Hinzu kommt die fatale Abhängigkeit vom russischen Gas – #Habeck hat schon im Bundestagswahlkampf 2017 genau davor gewarnt und #Baerbock wurde im letzten Wahlkampf diesbezüglich belächelt. Und genau diese Abhängigkeit macht es nun doppelt schwer Veränderungen umzusetzen, da man erstmal die ganzen offenen Baustellen schließen muss.

Der Klimawandel wartet nicht auf unser aller Handeln.

Nein, die Klimakatstrophe wartet nicht darauf, dass wir alles andere erstmal regeln, sondern schreitet voran. Niemand, der verstanden hat, was gerade auf der Welt passiert, wäre so dumm sein Handeln nicht danach auszurichten. Jedes Jahr sehen wir die Katastrophen, die näher kommen und schlimmer werden. Aber man kann nur damit arbeiten, was man vorfindet und das ist nun mal nicht gut und das gilt nicht nur im Bereich des Klimaschutzes!

Kommen wir nun zu #bdk, denn dort gab es viele interessante Redebeiträge und Themen, die teilweise in der Öffentlichkeit nicht auftauchten. Gleichzeitig hängten sich Kommentatoren und Presse sehr stark an möglichen Konfliktthemen auf und schienen enttäuscht, wenn sich die #Grünen dort nicht völlig zerstritten zeigten. Dabei gibt es dafür einen recht einfachen Grund: Die #Grünen spüren, dass es auf sie ankommt! Jetzt die, in einer schwierigen Situation handelnden Führungsfiguren in der Partei nicht zu stärken und in alte oder neue Grabenkämpfe zu verfallen, hilft unseren Zielen nicht. Und dass wir bei knapp 15% und drei Parteien in der Regierung nicht 1:1 unser Wahlprogramm umsetzen können, dass wir Kompromisse, die richtig weh tun können, machen müssen, war den allermeisten voll bewusst. Das heißt nicht, dass man es gerne tut.

BDI Präsidenten Russwurm für dekarbonisierten Industriestandort Deutschland

Herausheben möchte ich die Rede von Siegfried #russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und amtierender Aufsichtsratschef bei Thyssenkrupp, die in meinen Augen fast ein wenig untergegangen ist, da sie vor allem auch einen sehr nachdenklichen Ton anschlug. Er bestritt nicht die unterschiedlichen Überzeugungen in wesentlichen Punkten, so zum Beispiel beim Thema Atomkraft, aber er appellierte, dass es jetzt in einer solch schwierigen und unsicheren Situation einen Pakt der Demokraten geben müsse, der länger halte als eine Legislaturperiode, damit die Wirtschaft Planungssicherheit habe. Und damit verbunden bekräftigte er nochmals die Bedeutung eines dekarbonisierten Industriestandorts Deutschland, der bei einem Erfolg weit größeren Effekt haben würde als die 2% CO2-Ausstoßes, den Deutschland momentan weltweit ausmache.

Wenn dieser Gedanke in der Industrie angekommen ist und dann auch politisch gestützt wird, dann kann man auch wirklich vorankommen. Wenn die Politik aber hier nicht stützt, dann bleibt alles beim Alten, dann laufen die noch immer gut laufenden Geschäfte weiter, bis es keine Chance mehr auf Veränderung gibt, denn auch mit folgender Aussage hatte Herr #russwurm recht: Deutschlands Wirtschaft hat von billiger Energie gelebt. Wenn also die billige Energie in Form des russischen Gases wegbricht und wir nicht schnell handeln, dann hat Deutschland ein Problem. Deutschland hat keine eigenen Rohstoffe und damit bleibt vor allem die Innovationskraft das vielleicht wichtigste Element des deutschen Wohlstands.

Dazu ein Beispiel, was passieren kann, wenn man bequem wird und sich auf seinen Erfolgen ausruht: Kennt ihr noch Blackberry? Zur Jahrtausendwende galt es als innovatives Unternehmen im Bereich von Handys, stellte als erstes Unternehmen Smartphones her und war neben Nokia – ein weiteres Beispiel – an der Spitze des Marktes. 2008 verpasste es aber den Trend zum Touchscreen und ist jetzt nur noch ein Betriebssystem und das Unternehmen bei der Produktion und Herstellung von Smartphones in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Wir brauchen Innovationen in Deutschland und wir brauchen Rahmenbedingungen, mit denen die Unternehmen arbeiten können. 16 Jahre lang ist hier kaum etwas passiert und jetzt muss es schnell gehen. Und das Dilemma dabei ist jetzt schon klar, den einen geht es zu schnell, den anderen nicht schnell genug! Und an den #Grünen als Projektionsfläche wird dies fest gemacht. Für die einen sind wir eine Gefahr, weil wir Tempo machen bei den notwendigen Veränderungen im Land, für die anderen sind wir eine Enttäuschung, weil wir nicht so schnell voranschreiten (können?), wie es notwendig erscheint.

Das Grundgesetz ist und bleibt Basis unseres politischen Handelns.

#bündnis90diegrünen stehen mit beiden Beinen auf dem Boden des Grundgesetzes, das hat Cem #Özdemir in seiner Rede nochmals klar gemacht, auch als Abgrenzung zu politischen oder religiösen Extremisten und Autokraten. Dies bestimmt unser Handeln und beschränkt es zugleich, denn natürlich sind wir damit rechtsstaatlich gebunden. Dies zu verstehen ist wichtig, denn es erklärt auch unsere Rolle, die wir einnehmen und eben nicht einnehmen können. Es definiert auch die Notwendigkeit von Partnern außerhalb des Parlaments, von Verbündeten, die eben anders beschränkt sind, aber zugleich freier in ihrem Handeln sein können. Dass Klimaschützer*innen der F4F-Bewegung jetzt unzufrieden sind, dass #Lützerath nicht von den Grünen gerettet wurde, ist ein Beispiel dafür. Nein, ich möchte nicht, dass #Lützerath abgebaggert wird. Ich will, dass die Kohle in der Erde bleibt. Und mir ist bewusst, dass es der Klimaveränderung egal ist, ob es gerichtlich durchprozessiert ist und die Kohle dennoch schadet. Aber solange wir es nicht schaffen, dies gesetzlich zu verankern – ich verweise gerne nochmals auf unsere Koalitionspartner – solange kann man einen Deal, wie den mit RWE zum Kohleausstieg 2030, nicht einfach abtun als wäre es nichts! Das ist ein Erfolg, übrigens auch der Klimaschutzbewegung, auf den man aufbauen kann. Ein Moratorium, wie es die Grüne Jugend vorgeschlagen hat, hätte genau diesen Erfolg gefährdet, denn es ist völlig unklar, ob die Aufkündigung des Deals – nichts anderes wäre ein Beschluss zum Moratorium gewesen – am Ende zu einem besseren oder einem schlechteren Ergebnis geführt hätte. Ich erwarte nicht, dass die Klimaschutzbewegung deshalb den Kampf um #Lützerath aufgibt, aber die #grünejugend hat leider mit ihrem Antrag nicht aufzeigen können, wie wir mit einer Ablehnung des Deals durch ein Moratorium im nächsten Jahr ein besseres Ergebnis hätten erzielen können. Das Symbol darf nicht größer werden als das Ziel, wofür es steht.

Kritik muss man aushalten – Sündenbock für alles sind wir aber nicht.

Dass jetzt die Klimaschutzbewegung mit dem Finger auf uns zeigt und den #Grünen abspricht eine Klimaschutzpartei zu sein, finde ich dabei bemerkenswert. Es zeigt, dass einige die unterschiedlichen Rollen innerhalb der Klimaschutzbewegung nicht verstanden haben. Ich sehe die #Grünen als parlamentarische Verbündeten der Bewegung als einen wichtigen Teil im Kampf um Klimaschutz und ich sehe auch keinen Beschluss der #bdk, durch den wir diesen Bündnis aufgekündigt hätten. Die Klimaschutzbewegung ist mit ein Grund, warum wir diese Erfolge in der Regierung erzielen können. Der Druck, der vor allem durch die junge Generation ausgeübt wird und die Erkenntnis in den anderen Parteien, dass die Jugend auf andere Inhalte setzt, ja setzen muss, die führt zu einem Umdenken. Das führt zu parlamentarischen Erfolgen. Und wir erringen nur weitere parlamentarische Erfolge, wenn die Bewegung diesen Druck hochhält. Wir stehen bereit in den Parlamenten echte Klimaschutzgesetze durchzusetzen, wir stehen bereit Verhandlungen mit anderen Parteien zu führen, solange aber Erfolg oder Misserfolg immer nur bei uns abgeladen wird, macht die Klimaschutzbewegung es den anderen Parteien ziemlich einfach.

#RicardaLang hat es richtig gesagt als Antwort auf die – wie eigentlich immer – hervorragende Rede von #LuisaNeubauer auf der #bdk: Sinngemäß sagte sie: Wenn die Entscheidung ist etwas zu tun, was nicht perfekt ist, oder gar nichts zu tun, dann werden wir das nicht perfekte machen, wissend, dass wir euch damit auch mal enttäuschen werden. Auch Steffi Lemke sagte sinngemäß, wir wissen, dass wir auch einiges beschlossen haben, das Mist ist. Aber alle die uns nun kritisieren, bitte zeigt doch dann auch auf, wie man es anders machen kann, wie man mehr erzielen kann, wie man die anderen Parteien zu mehr Zugeständnissen bewegen kann. Ist es tatsächlich für das Ziel Klimaschutz hilfreich, wenn Erfolg und Misserfolg immer nur bei den #Grünen abgeladen wird und die anderen ihre Hände in Unschuld waschen können? Ich denke nicht. Anstatt uns jetzt den Willen zum Klimaschutz abzusprechen, erhöht den Druck, aber nicht nur auf uns, sondern auf alle Parteien. Das 1,5 Grad Ziel muss von allen Parteien in der Regierung angestrebt werden, am besten von allen demokratischen Parteien, damit die Wirtschaft weiß, wohin die Reise geht. Wir sind euer geringstes Hindernis auf diesem Weg.

Es gäbe noch so viel zur #bdk zu schreiben, zum Beispiel zum Waffendeal mit Saudi Arabien, zum Ukrainekrieg, zur aktuellen Situation im Iran, über die Auftritte von zwei Friedensnobelpreisträgerinnen und einer Klimaaktivistin aus Afrika usw. Aber ich denke, der Text ist jetzt schon lang genug. Vielleicht ist er auch mehr mein Verarbeiten der #bdk für mich als eine Information für euch, dass dürft ihr selber entscheiden. Wenn ihr bis hier gekommen seid, dann danke ich euch für eure Geduld und eure Aufmerksamkeit.

 

Kategorie

#Klima und Umwelt | #Presse

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